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Wissenschaftskommunikation in der Debatte – Zum Stellenwert Sozialer Medien in der Wissenschaftsvermittlung

Wissenschaft erleidet Vertrauensverluste. Umso wichtiger wird eine strategisch ausgerichtete Wissenschaftskommunikation auch im Bereich sozialer Medien. Doch welche Strategie ist zukunftsweisend? Ein Zusammenschluss wissenschaftlicher Akademien empfiehlt nach eigener Analyse den regulierten Umgang mit den Kanälen. Wissenschaftskommunikator*innen fragen sich, wie fundiert und zeitgemäß diese Schlussfolgerung ist. Doch wer fragt die User*innen im Internet zur Relevanz von Wissenschaft und welche Frageform würde sie erreichen?

Wissenschaft im Goldfischglas

Die Aufmerksamkeitsspanne ist kurz geworden im digitalen Zeitalter. Laut einer Studie von Microsoft, liegt sie bei acht Sekunden. Das ist Goldfisch-Niveau, sogar ein bisschen darunter. Für die Onlineportale war dies ein gefundenes, kurzes News-Fressen, für Microsoft gutes Marketing.

Frage: War diese virale Nachricht 2015 bereits Wissenschaftskommunikation oder nur Clickbaiting mittels Goldfisch-Vergleich für alle, die darüber berichteten?

Diese Frage ist wichtig, denn sie passt zur derzeitigen Diskussion über die Vermittlung von wissenschaftlichen Fakten und neuen Ergebnissen in der digitalen Welt. Wie lässt sich die Qualität von kompetent aufbereiteter und faktenbasierter Wissenschaftskommunikation im Internet sichern, ohne dass diese an Sichtbarkeit verliert im Rauschen täglicher News und Fake News, Trending Topics, Shitstorms, Hypes und good´ol Katzenvideos?

Chancen und Risiken von Social Media für die Wissenschaft – Was überwiegt und ist das die relevante Frage?

Die Akademienarbeitsgruppe „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien (Phase 2)“ (WÖM2), bestehend aus Vertretern der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech ─ Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, entwarf hierzu eine gemeinsame Stellungnahme. In der WÖM2-Stellungnahme zum Einfluss von Social Media auf die Wissenschaftskommunikation sprechen sie sich für die Regulierung von Social Media, neue Qualitätsstandards, Social Media Training für Wissenschaftler*innen und eine zentrale Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform aus.

Das Papier stieß in der Community von Wissenschaftskommunikator*innen eine breite Diskussion an, in der es weniger um Deutungshoheit über Methoden der Wissensvermittlung geht, als um die generelle Glaubwürdigkeit des Out-Puts. Ein kleiner Blick auf die Debatte:
Diese entsteht für die Wissenschaftsjournalistin Annette Leßmöllmann nicht durch rechtliche Regularien von Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen, also „nicht durch Kanalarbeiten, sondern dadurch, dass man sich (auch forschend) damit auseinandersetzt, welche Haltung Menschen zur Wissenschaft haben, warum sie diese haben und wie sie sie in die täglichen Abläufe und Entscheidungen einfließen lassen.“.

Glaubwürdigkeit im Rückwärtsgang

Die regulative Ausrichtung des WÖM2-Papiers ist Annette Leßmöllmann zu reaktionär. Eher sollte der Umgang mit den allgegenwärtigen Social-Media-Kanälen statt ihrer Kontrolle, forciert werden. Sie plädiert für ein kooperatives Handeln zwischen Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Internet-Communities und Influenzer*innen von Instagram bis Youtube.

Rückwärts gewandt empfindet auch Beatrice Lugger, Geschäftsführerin und Wissenschaftliche Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik, die WÖM2-Stellungnahme. Für sie beinhaltet der angesprochene Austausch eine wichtige Kommentierungsleistung seitens aller Wissenschaftsexpert*innen. Denn was online viral wird, muss nicht immer wahr sein. Unseriöse Publikationen werden online zum Problem, „weil Fake-Wissen dort hochprofessionell aufbereitet und untermauert wird. Die falschen Nachrichten finden ihre Empfänger, zumal in den Echokammern für Gleichgesinnte.“. In diesem Sinne benötigt Wissenschaftskommunikation im Internet nicht eine einzige institutionelle Stellungnahme, sondern eine stetige durch alle Kommunikator*innen. Medien-Training für Wissenschaftler*innen, darin sind sich alle einig, kann ein probates Mittel sein. Auch hier könnten erfahrene Influenzer*innen helfen.

Die Chance der Wissenschaftskommunikation heißt: Noch mehr Wissen!

Markus Weißkopf, Geschäftsführer des ‚Flaggschiffs der Wissenshaftskommunikation in Deutschland‘, Wissenschaft im Dialog, kritisiert ebenfalls den allgemein negativen Blick auf Social Media, den die WÖM2-Stellungnahme formuliert. In der Gemengelage aus viralen Fake-News-Phänomenen, algorithmischen Filterblasen und der steigenden Nutzung sozialer Medien unter Jugendlichen könne Wissenschaftskommunikation im Internet kann auch als ein zivilgesellschaftlicher Akt gesehen werden. So schreibt Weißkopf: „Es gilt vielmehr nun, diesen neuen Kommunikationsraum nicht denjenigen zu überlassen, die anti-wissenschaftliche und populistische Positionen vertreten, sondern, ihn mit allen Akteuren der Wissenschaftskommunikation (und dazu zählen auch und besonders die Bürger!) gemeinsam zu gestalten.“. Dies solle nicht zur alleinigen Deutungshoheit und zum absoluten Wahrheitsanspruch führen, sondern „eine möglichst pluralistische Medienlandschaft und Diskurs, die unterschiedliche Perspektiven und den Meinungsaustausch“ fördern.

Zu den gewünschten Auswirkungen der Kommunikation zwischen Wissenschaftler*innen und Bürger*innen brauche es für Markus Weißkopf mehr Evidenz. Evaluation sei für den Geltungsanspruch der Wissenschaftskommunikation notwendig. Wird der Dialog zwischen Wissenschaft und User*innen um mögliche Forschungseffekte erweitert, wird klar: Eine verharrende, regulativ einengende Sicht auf soziale Medien verkennt den enormen Partizipations- und Evaluations-Moment. Nie zuvor war möglich, viele Daten in sehr kurzer Zeit von äußerst spezifischen Gruppen zu erhalten. Social Media könnte damit nicht ausschließlich eine chaotische, angriffslustige Welt, sondern auch Zugang zu sich selbst ordnenden Lebenswelten sein.

Sprechen wir über Social Media, ALLE zusammen!

Regularien können Spielregeln sein. Sie sind wichtig, denn sie geben Orientierung. Sie aber im Umgang mit Social Media als Dogmen zu betrachten, in einem sich dynamisch ändernden Spiel, wäre fahrlässig. Vielleicht ist auch das Problem mit dem Umgang der Online-Kommunikation größer, als es sich die Akademien eingestehen und die Forderungen sind Ausdruck von Kontrollverlust über Kommunikationsräume und damit Ausdruck eines Generation Gap. Dieser wäre durch Dialog, nicht durch Richtlinien, zu schließen, einen Versuch dazu wagt der Fachtag Wissenschaftskommunikation Sachsen-Anhalt am 16. April 2018 in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Zum Tagungsthema „Forschung . Welche sozialen Medien braucht, wie viele verträgt die Wissenschaft?“ erhalten Expert*innen und Interessierte die Chance zum Austausch.

In Gesprächsrunden und Workshops werden Kriterien und Möglichkeiten zukunftsweisender Wissenschaftskommunikation erarbeitet, moderne Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten zwischen Gesellschaft und Wissenschaft besprochen und Best-Practice-Erfahrungen zu diesem Bereich vermittelt. Den ersten Praxis-Check erhalten die Fragestellungen der Tagung am Folgetag bei einer Recherchereise für Medienvertreter, in der sie verschiedene Spitzenforschungsstandorte Sachsen-Anhalts besuchen. Die Fachtagung nimmt dabei Ergebnisse des interaktiven Podiumsgesprächs mit Expert*innen zum Thema »Forschung . Welche sozialen Medien braucht, wie viele verträgt die Wissenschaft?« 4. September 2017 an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle (Saale)

Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit, Partizipationswille sind Ideale, die im Handeln stetig von Neuem erarbeitet werden müssen. Das ist anstrengend und das nervt, weil man nie exakt die Effekte vorhersehen kann, die Angebote haben werden, wodurch das Enttäuschungsrisiko für Akteure der Wissenschaftskommunikation mindestens konstant bleibt; und weil durch die Informationsfülle, den Wegfall des Deutungsmonopols klassischer Medien und die Goldfisch-Attitüde ein Vertrauen bei Rezipient*innen im Internet trotz zugänglicher Aufbereitung wichtiger Fakten schneller verspielt als etabliert ist (Phänomene, zu denen es interessante Arbeiten gibt, wie die der Journalistin Becky Little im Smithsonia über negative Aufmerksamkeitseffekte und der Studie von Jospeh Hilgard und Kathleen Hall Jamieson zum Haltbarkeitsdatum von Vertrauen gegenüber Wissenschaften). Aber ist der Monolog eine Alternative zum Dialog in der Wissenschaftskommunikation? Wohl kaum.